Startseite » Wir finden ein leeres Boot…
Wir finden ein leeres Boot…
Wir sind nun in dem See-Korridor angelangt, den wir mit unserem Boot, der Nadir, nach Absprache mit der deutschen Seenotrettungsorganisation Seawatch und ihrem Schiff der Seawatch 3 und dem spanischen Rettungsboot Astral, nach in Not geratenen Flüchtlingsbooten absuchen sollen.
Die Astral meldet mehrere Boote, etliche Seemeilen vor Lampedusa.
Sie sichern deren Situation ab und kommunizieren die Weiterfahrt der Boote mit den italienischen Behörden.
Kurze Zeit später erhalten wir einen Hinweis von Alarm-Phon, einer internationalen Initiative die Hilferufe von Bootsflüchtlingen die im Besitz eines Satellitentelefons sind, entgegennehmen und dann die entsprechenden zuständigen Behörden, z.B. die italienische oder die maltesische Küstenwache, aber auch zivile Seenotrettung- und Hilfsorganisationen vor Ort, mit den Zustands- und Standortdaten des in Not geratenen Bootes versorgen.
Es handelt sich um ein Holzboot mit 87 Kindern, auch Kleinkindern, Frauen und Männern an Bord.
Der Motor sei ausgefallen und das Boot treibe bei zunehmenden Wellengang hilflos im Meer.
Das Trinkwasser ginge zudem aus. Der Standort ist ca. 5-6 Stunden von uns entfernt.
Wir machen uns, nach Absprache mit der Seawatch 3, aus verschiedenen Standorten die unsere Boote derzeit einnehmen, gemeinsam auf den Weg zu diesem Boot.
Das Erkundungsflugzeug der Organisation Seawatch, die Seabird, bestätigt die Notlage des Flüchtlingsbootes.
Wir erhöhen unsere Geschwindigkeit. Nach ca. 5 Stunden entdecken wir ein Boot am Horizont. Wir nehmen direkten Kurs auf dieses Boot. Im Fernglas haben wir den Verdacht, dass das Boot leer ist. Wir erreichen es!
Es ist leer!
Wir schauen auch im Unterdeck nach, manchmal hat man dort schon verstorbene Menschen gefunden. Das ist zum Glück nicht der Fall. Auf dem verlassenen Boot finden wir verschiedene Utensilien der Menschen, die hier hofften bald in Europa anzukommen.
Wir sehen Kleidungsstücke, Schuhe, Windeln, Taschen, Medikamente gegen Schmerzen, alles deutet auf eine sehr hastig durchgeführte Bergung hin. Der Motor ist abmontiert und im inneren des Holzbootes befinden sich noch über 100 Liter Treibstoff. Dann trifft auch die Seawatch 3 vor Ort ein.
Die libysche Küstenwache muss die Menschen schon abgeborgen haben. Kurze Zeit später tauchen zwei libysche Schnellboote mit silhouettenhaft auf dem Deck sichtbaren Bootsflüchtlingen auf. Sie bedrängen die Seawatch 3 und geben über Funk ihnen unmissverständlich zu verstehen, sie sollten hier verschwinden, bevor es noch Tote geben würde.
Die Seawtach 3 reagiert besonnen, ruhig und klar. Man befinde sich in internationalem Gewässer und sei laut Seerecht zur Rettung von in Not geratenen Menschen verpflichtet.
Die libysche Seite beansprucht nun einfach ein größeres Seehoheitsgebiet, was in klarem Widerspruch zu internationalen Vereinbarungen steht. Die libyschen Schnellboote fahren immer wieder in hohem Tempo in Richtung Seawatch, als ob sie uns allen die „geretteten“ Bootsflüchtlinge wie eine Trophäe präsentieren wollten.
Was werden die „Geretteten“ nun in Libyen wieder erleiden müssen?
Sie werden wieder Zwangsarbeit leisten müssen, zur Prostitution gezwungen, gedemütigt und misshandelt werden, missbraucht und erniedrigt.
Bis sie erneut das Geld für einen Fluchtversuch „erwirtschaftet“ haben.
Wie groß muss die Enttäuschung und Verzweiflung dieser Menschen sein?
Und Europa unterstützt die libyschen Behörden und weiß genau um dieses menschenverachtende, oft auch menschenzerstörende Verhalten.
Mit vielen traurigen Gedanken verlassen wir diesen Ort.
Wir waren einfach zu spät da!